Wie ich spinnen lernte
Hier kannst du meine allerersten Spinnversuche miterleben und hoffentlich aus meinen Erfahrungen lernen. Und du siehst: Es dauert nicht ewig, bis man ein ansehnliches Garn zustande bringt.
Lange habe ich gedacht, ach nee, spinnen, das lohnt sich doch gar nicht, das dauert doch so ewig. Aber nach dem ersten Ausprobieren hat es mich dann doch erwischt: Ich spinne! Und wenn man beim Spinnen mal über die Produktion von schwangeren Regenwürmern rauskommt, wird die Begeisterung schnell chronisch. Das ist bei mir bereits der Fall. Weil das Spinnen so ansteckend ist, hoffe ich, dass ich dich auch damit infizieren kann. Es ist nicht nur ungemein entspannend, meditativ und erdend, sondern auch der Aspekt, mit dem das Selberstricken wirklich günstig wird, ohne dass man an der Qualität Abstriche machen muss. Ein selbst gestrickter Pullover aus gekauften Garnen ist ja nicht unbedingt preiswerter als ein fertig gekaufter, aber wer selber spinnt, spart tatsächlich.
Was mich persönlich besonders reizt, ist die Verarbeitung von heimischer bzw. europäischer Wolle, weil nachhaltiger und außerdem mulesingfrei. Beim Mulesing wird den Schafen rund um den After ohne Betäubung die Haut weggeschnitten, damit sich in den Hautfalten keine Fliegenmaden einnisten können. Das ist deshalb nötig, weil die Schafe auf maximalen Wollertrag hin gezüchtet wurden und deshalb diese Hautfalten überhaupt entstanden sind. Aber das geht auch anders!! Einen guten Artikel zum Thema Mulesing findest du hier:
Das Gute an europäischer Wolle ist die farbliche Vielfalt, da gibt es auch ohne Färbung wunderschöne Farbtöne. Und die Fasern sind sehr robust. Der Nachteil, man ahnt es schon: Die Wolle ist in der Regel nicht kuschelweich. Trotzdem gibt es eine Menge tolle Sachen, die man aus diesen Fasern herstellen und trotzdem angenehm tragen bzw. verwenden kann.
Ich möchte dir hier mal meine bisherigen Spinnprojekte vorstellen, denn ich finde, das ist eine Mutmachgeschichte. Man muss schon ein bisschen üben, aber echt nicht ewig, bis man ein schönes Garn zustande kriegt. Schau doch mal:

Lektion 1: Utensilienkörbchen
Das hier ist aus meinen allerersten Spinnversuchen geworden. Das Garn stammt aus dem Spinnkurs, in dem ich Spinnen am Spinnrad gelernt habe. Da ich nichts verschwenden wollte, habe ich diese Körbchen gehäkelt. Eines davon behütet meinen Schlüsselbund, wenn ich zuhause bin, das andere hütet allerlei Krimskrams auf meinem Esstisch. Dass das Garn ziemlich dick und ungleichmäßig ist, stört bei diesen beiden Modellen gar nicht, im Gegenteil, das hat einen ganz eigenen Reiz, finde ich.
Lektion 2: Von der Tuch-Theorie zur Taschen-Praxis
Mein zweites Projekt ist eine Wolle-Leinen-Mischung, die es fertig zu kaufen gab. Daraus wollte ich eigentlich ein feines Garn spinnen und ein Tuch stricken. Aber da habe ich unterschätzt, wie dick das Garn nach dem Verzwirnen wird, und ich konnte auch noch nicht besonders fein spinnen. Außerdem ist fertig gesponnenes Garn immer deutlich weniger flauschig als die ungesponnene Faser. Das Ergebnis war also nicht das, wovon ich geträumt hatte und an Tuch war nicht zu denken. Ich habe das Garn dann mit einem Gatterkamm-Webrahmen verarbeitet, vermutlich wird eine Umhängetasche draus. Den Schulterriemen gibt es schon.


Lektion 3: Noch ein Projekt zum Flexibelbleiben
Von meiner Schwester habe ich eine Tüte mit bunten Resten ungesponnener Merinowolle „geerbt“, mit der ich mich eigentlich mal im Filzen üben wollte, aber ich habe festgestellt: Spinnen geht auch! Dafür habe ich verschiedene Farben mit dem Blending-Board zu Rolags gerollt und dann in gewohnt grober Manier zu einem Garn verarbeitet, das zum Stricken eindeutig zu dick und zu wenig war. Vor meinem geistigen Auge entstand also ein gewebter Schal, nur dass der dann in der Praxis zu kurz und zu fest war, um als Schal durchzugehen. Es war eher ein Tischläufer, aber sowas brauche ich nicht. Drum ist inzwischen eine sehr praktische Tasche für mein Webzubehör daraus geworden.
Und was ist jetzt ein Blending Board und was sind Rolags?? Mehr dazu findest du hier.
Lektion 4: Mütze und Stulpen multicolor
Der nächste Schritt weg von den schwangeren Regenwürmern hin zu feineren Garnen war ein Mix aus den bunten Merino-Resten meiner Schwester und einem einfarbigen Merino-Faden. Ich habe von den Kammzügen (was das ist, erfährst du hier) kleine Stücke abgetrennt und sie in unregelmäßiger Reihenfolge zu einem bunten Faden versponnen. Dabei habe ich das Ansetzen neuer Fasern gründlich üben können. Ich war auch stolz, wie fein die Fäden geworden sind. Auf einer zweiten Spule habe ich einen gleich dicken (bzw. dünnen), naturfarbenen Faden gesponnen und dann beide miteinander verzwirnt. Nach dem Baden des Garnes hab ich dann aber schon ein bisschen blöd geschaut, denn die vermeintlich dünnen Fäden waren zu einem ordentlich dicken Garn aufgepufft. Schluck! Das liegt an der Tatsache, dass das Garn beim Zwirnen grundsätzlich wieder lockerer und damit dicker wird, aber auch daran, dass ich zu wenig stark verzwirnt habe. Für warme Wollmützen und passende Stulpen war das Garn aber genau richtig. Bei einer meiner beiden Strickmützen (es dürfte die vom Foto sein) habe ich das Garn nochmal leicht nachverzwirnt, weil es beim ersten Durchgang zu locker war. Das Ergebnis war gefühlt auf jeden Fall ein erster echter Erfolg.
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Lektion 5: Jede Menge Merinowolle
Inzwischen hatte ich mir ein Kilo Merinofasern besorgt und hab einfach mal drauflosgesponnen. Der Plan war, das fertige Garn zu färben, hab mich bisher aber noch nicht rangetraut. Auf dem Foto kannst du gut erkennen, dass das Garn zwar inzwischen feiner ist (man könnte es mit Nadelstärke 3 oder 3,5 verstricken), aber noch recht unregelmäßig. An einigen Stellen hat es für meinen Geschmack zu wenig Drall und ist zu wenig stark verzwirnt, weshalb es an diesen Stellen besonders stark aufpufft. Manche mögen das und das Garn ist dadurch auch sehr weich. Aber mir ist das zu fluffig. Allerdings mag ich die lebendige Struktur, die beim Stricken mit so einem eher ungleichmäßigen Garn entsteht. Industriell gesponnene Garne empfinde ich dagegen inzwischen als eher langweilig.
Lektion 6: Shetland-Schal
Da ich besonders gerne mit feinem Garn und dünnen Nadeln stricke, war ich mit dem, was ich bisher erreicht hatte, noch nicht zufrieden. Das musste auch noch deutlich feiner gehen! Geht es auch, und ich habe festgestellt: Es ist eigentlich vor allem so, dass man lernen muss, den Fasern zu vertrauen, dass sie wirklich zusammenhalten, wenn sie genügend Drall haben. Ich habe das mit ungefärbter grauer Shetlandwolle geübt.
Inzwischen fällt es mir nun eher schwer, dicke Garne zu spinnen. Wenn ich nicht nachdenke, werde ich automatisch immer dünner. Ich habe mir von erfahrenen Spinnerinnen sagen lassen, dass das normal ist und jede/r sich auf seine/ihre Garn- und Drallstärke „einspinnt“. Kann ich bestätigen. In meinem Fall macht das feine Spinnen auch Sinn, denn ich stricke ja auch lieber mit feiner Wolle.
Ganz ehrlich: Ich war mächtig stolz auf mein erstes feines Garn und habe es überall rumgezeigt. Und auch den Schal, den ich daraus gestrickt habe, finde ich sehr gelungen und schön. Auch wenn Shetlandwolle nicht gerade ein Kuschelgarn ist...
Und was mich doch wieder überrascht hat: Beim Spinnen kam mir der Faden vor als wäre er kaum dicker als Nähgarn. Ich habe mich noch gefragt, wie ich sowas denn verstricken soll. Aber nach dem Zwirnen und vor allem nach dem Baden war ich erstaunt, wie sehr das Ganze dann doch aufgepufft ist. Gestrickt habe ich am Ende mit Nadelstärke 3, wenn ich mich nicht irre. Also schon fein, aber nicht zu fein. (Der Schal ist ca. 30 cm breit und 2,2 m lang. Ich sag nicht, wie lang ich dafür gebraucht habe...) Nach meiner Erfahrung stimmt leider nicht, was ich mal gelesen habe, nämlich dass sich beim Zwirnen dicke und dünne Stellen ausgleichen, im Gegenteil, ich habe eher den Eindruck, dass sich die gleichen Stellen magisch anziehen und nachher nicht ein gleichmäßig mitteldickes, sondern ein an manchen Stellen besonders dünnes und an anderen besonders dickes Garn entsteht. Wahrscheinlich stimmt das rein statistisch nicht und es ist so wie mit den Ampeln, die gefühlt alle rot werden, sobald man darauf zufährt. Und außerdem meine ich, wenn das Garn aussehen würde, als hätte es eine Maschine gesponnen, dann könnte es auch eine Maschine spinnen. Den lebendigen Charme eines handgesponnenen und dadurch leicht unregelmäßigen Garnes dagegen – das schafft keine Maschine!
![20230811_145056[1].jpg](https://static.wixstatic.com/media/847a35_cbe3b11c7a3e4f99a7e6805ae024b950~mv2.jpg/v1/fill/w_464,h_619,al_c,q_80,usm_0.66_1.00_0.01,enc_avif,quality_auto/20230811_145056%5B1%5D.jpg)
So, das waren also meine Anfänge als infizierte Spinnerin und meine ersten daraus entstandenen Projekte. Man sieht, dass schon ein wenig Übung nötig ist, bis man den Dreh raus hat, man sieht aber auch, dass das in absehbarer Zeit gut zu schaffen ist und die Fortschritte schnell zu sehen sind. Drum wünsche ich dir viel Erfolg für deine eigenen Anfänge, schnelle Fortschritte und viel Spaß mit deinen Projekten.
Und falls du gerne selber Spinnen lernen möchtest, dann erfährst du hier mehr dazu.