Warum das Neue nicht immer besser ist
- kasara-garnideen
- 3. Aug. 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 31. März
Puh, so langsam komme ich mir schon ein bisschen wie so eine Art Handarbeits-Fossil vor. Heute strickt man nicht mehr Ajour-Muster, sondern Lace, nicht mehr Jacquard, sondern Colourwork (was im Ergebnis jeweils das Gleiche ist). Pullover strickt man von oben nach unten und alles am Stück, Socken mit Rundnadeln und ohne Ferse. Die Menge, die man für ein Strickstück benötigt, wird oft nicht mehr in Gramm, sondern in Metern angegeben und ohne Farbverlauf geht gar nix. Muss ich alles lernen. War früher alles anders.
Aber es gibt ein paar Dinge, die mögen ja neu sein, aber ich finde, es lohnt sich, den Mehrwert zu hinterfragen. Zum Beispiel diese:
Häkelnadeln mit Griff: Auf den ersten Blick liegen die modernen Häkelnadeln besser in der Hand, weil der Griff dicker ist als bei alten Häkelnadeln ohne Griff. Aber meine wilde Sammlung verschiedener neuerer Nadeln sieht so aus: Eine hat Rillen und relativ scharfe Kanten genau dort, wo ich die Häkelnadel anfasse. Das tut dann mit der Zeit richtig weh an der Hand. Eine andere ist mit der Zeit total klebrig geworden, sodass ich sie überfilzen musste (guter Tipp übrigens!). Bei einer hat sich der Griff gelöst, so dass mir immer wieder der Haken rausrutscht. Und bei einigen hat sich der Aufdruck abgescheuert, so dass ich nicht mehr erkennen kann, welche Stärke das ist. Daneben habe ich noch eine Sammlung alter und uralter Häkelnadeln von meiner Oma und anderen handarbeitenden Vorfahrinnen. Die haben meist keinen Griff (also die Häkelnadeln, nicht die Damen) oder einen aus Holz. Und die Dinger halten und halten. Da bricht nix ab, ich seh sofort, um welche Stärke es sich handelt, und wenn ich mal beim Häkeln irgendwo hängenbleibe, was z.B. bei Büschelmaschen gerne mal vorkommt, kann ich die Häkelnadel einfach nach vorne rausziehen und neu beginnen.
Socken ohne Ferse und mit der Rundstricknadel stricken: Ok, ich geb's zu, das Stricken mit fünf Nadeln fällt einem nicht in den Schoß und bei der klassischen Ferse muss man sich schon den einen oder anderen Arbeitsschritt merken. Aber meiner Meinung nach lohnt es sich absolut, sich durch die Anfänge zu kämpfen, bis man den Dreh raushat. Das Stricken mit dem Nadelspiel ist dann nämlich auch nicht schwieriger als das Stricken mit Rundnadeln, geht aber tatsächlich schneller. Und was die Ferse betrifft: Ich hab ja an Socken schon so einiges gesehen: Welche ohne Ferse, mit Bumerang-Ferse, gehäkelt, mit komplizierten Mustern und so weiter. Aber ich habe noch keine Socken gesehen, die besser sitzen als die mit der klassischen Ferse. Da spannt nix, da gibt es im Schuh keine Falten und Druckstellen und außerdem hält das ewig, weil es nirgends Stellen gibt, die besonders unter Spannung stehen (jedenfalls dann, wenn man die Ferse lang genug strickt). Wenn du also lange Freude an deinen selbst gestrickten Socken haben möchtest, dann kann ich dir nur raten, dir die traditionelle Technik draufzuschaffen und damit in Serie zu gehen. Die Mühe lohnt sich! (Nachtrag: Die so genannte Herzchenferse bildet eine Ausnahme. Sie sitzt mindestens genauso gut wie die traditionelle Käppchenferse. Werde ich bei den nächsten Socken unbedingt ausprobieren!)
Mit Farbverlaufsgarn stricken: Klar ist es eine tolle Sache, dass man bunte Teile stricken kann, ohne dass man dabei viele Fäden gleichzeitig verarbeiten muss, was tatsächlich mühsam ist, das geb ich zu. Aber so langsam wird gefühlt fast ALLES mit Farbverlaufsgarn gestrickt. Am meisten wundert mich das bei Socken, die gehen ja fast nur noch in Superbunt. Ich frag mich immer: Wozu soll das gut sein? Oft sieht man die Socken doch gar nicht, weil sie in den Stiefeln stecken! Oder wenn man sie sieht: Wie schaffen die Leute das, dass dann auch die restliche Garderobe immer zu den bunten Socken passt?? Da lobe ich mir doch meine Sockensammlung in diversen neutralen Tönen, die passen immer! Und ich seh mich nicht so dran satt. Und das ist überhaupt meine Frage: Wie lange gefällt mir so ein Farbverlaufs-Strickstück wirklich? Kann ich das auch nach Jahren noch gut und gerne anziehen? Außerdem frage ich mich, wie man so einen Farbverlauf überhaupt färbt. Bei der Firma Schoppel zum Beispiel sieht das Garn oft aus, als wäre es schon mal verstrickt gewesen und wieder aufgeribbelt worden. Vermutlich ist genau das der Fall. Und das ist doch ein Arbeitsgang, der echt nicht sein müsste! (Wobei ich hier nicht die Firma Schoppel kritisieren möchte, denn sie gehört immerhin zu den Firmen, die sich um Nachhaltigkeit bemühen.)
Raglan von oben (RVO): Dass diese Technik so in Mode gekommen ist, liegt wohl daran, dass sich die Modelle sehr leicht an verschiedene Größen anpassen lassen und dass man am Ende nichts zusammennähen muss. Gute Sache! Das heißt aber auch, dass ich beim Stricken gegen Ende immer eine ganze Menge Material rumschleppen muss. (Ich habe eigentlich immer irgendwas zum Handarbeiten in der Tasche.) Und mal ganz ehrlich: Ich habe auch schon viele RVO-Modelle gesehen, die an den Schultern oder am Ausschnitt einfach nicht gut sitzen. Für manche Schnitte ist die Technik echt prima, vor allem, wenn die Anleitung gut ist, aber manche Schnitte kriegt man damit halt einfach nicht hin. Drum bleibe ich fürs Erste in der Regel bei meiner traditionellen Von-unten-Technik, bei der ich Kleidungsstücke nach Maß stricken kann. Und die stricke ich portionsweise und nähe sie erst am Schluss zusammen.
Was die neuen englischen Begriffe fürs Musterstricken betrifft: Das ist vielleicht wirklich eine gute Idee, bevor am Ende noch Aschur und Schakar draus wird. ;-) Nein, ohne Scheiß, die englischen Begriffe sind einfach leichter auszusprechen, die nehm ich! (PS: Bei Ebay gabs neulich Löffel fürs "Amüsgöl" zu verschenken. Und woanders hat jemand geschrieben, er sei "dacor" mit der Meinung eines anderen. Irgendwie kommt Französisch aus der Mode und die korrekte Schreibweise erst recht. Man hat ja heute auch kein Rendezvous mehr, sondern ein Date.)